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„Gelingendes Leben, das ich nicht vorwegnehmen kann“
Die Freiburger Schriftstellerin Annette Pehnt im Gespräch über die Reformation und die evangelische Kirche heute

Freiburg. Die Freiburger Schriftstellerin Annette Pehnt hat zum Reformationsjubiläum auf die Grenzen menschlicher Machbarkeit hingewiesen. „Ja, es gibt Momente gelingenden Lebens, die ich nicht vorwegnehmen kann und die plötzlich vor mir auftauchen. Wenn ich wach genug bin, dann kann ich sie begreifen. Ein wichtiger Gedanke in einer Zeit, in der wir uns ständig über unsere Leistung beweisen müssen“, erklärte die Autorin in einem Gespräch mit dem Freiburger Stadtdekan Markus Engelhardt. Sie bezog sich dabei auf die zentrale Botschaft der Reformation, dass sich der Mensch nicht durch seine eigenen Taten vor Gott rechtfertigen könne.

Als einen „Ort der Gemeinschaft und der Suche“ beschrieb Pehnt die evangelische Kirche. Sie wünsche sich die Kirche als Gemeinschaft, wo sie das gelebt sehe, was ihr am Glauben wichtig sei. „Da habe ich manchmal radikale Vorstellungen, sehe die Kirche als Konsequenz biblischer Texte und werde, was die Umsetzung angeht, bei der Suche manchmal nicht so recht fündig“, räumte die Schriftstellerin ein. Nicht zuletzt sei die Kirche ein Ort, an dem sie die Fragen nach Gott stellen kann. „Da bin ich leidenschaftlich auf der Suche. Ich könnte nicht sagen, dass ich angekommen oder aufgehoben im Glauben wäre. Aber die Frage nach Gott lässt mich nicht los“, bekannte die Freiburger Autorin.

Die gebürtige Rheinländerin (Jg. 1967) stammt eigenen Angaben zufolge aus einer atheistischen Familie. In der Pubertät habe sie sich „unbedingt mit Kirche auseinandersetzen wollen“ und sei Weihnachten allein in die Kirche gegangen. Im katholischen Köln habe sie dann eine evangelische Gemeinde gefunden, die sich stark in der Friedensbewegung und in der Taizé-Bewegung engagierte. Seit 1992 lebt Annette Pehnt als Schriftstellerin in Freiburg. 2001 erschien ihr erster Romans „Ich muss los“, weitere Bücher folgten, unter anderem „Chronik der Nähe“ (2011). Die Autorin auch von Kinderbüchern, erhielt mehrere Preise, u.a. den Kulturpreis Baden-Württemberg in diesem Jahr. Am Reformationstag (31.10.) wird sie gemeinsam mit Dekan Markus Engelhardt und einer weiteren Pfarrerin beim Fest- und Gedenkgottesdienst im Freiburger Stadttheater (Beginn 10 Uhr) predigen.

Der Theologe Markus Engelhardt (55) ist seit 2007 Dekan des evangelischen Stadtkirchenbezirks Freiburg.
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Hier das Interview im Wortlaut:

Was ist für Sie die Kirche und was wünschen Sie sich von ihr?

Pehnt: Gerade die evangelische Kirche ist für mich ein Ort des Wortes. Da habe ich die Muße, über einen zentralen Text nachzudenken und mit dem Text in ein Gespräch zu kommen. Es ist aber auch ein Ort der Andacht. Diese beiden Dinge, Wort und Andacht, die sind für mich ganz zentral. Dann wünsche ich mir Kirche als eine Gemeinschaft, wo ich das gelebt sehe, was ich an unserem Glauben wichtig finde. Da habe ich manchmal radikale Vorstellungen, sehe die Kirche als Konsequenz biblischer Texte und werde, was die Umsetzung angeht, bei der Suche manchmal nicht so recht fündig. Und nicht zuletzt ist die Kirche ein Ort, an dem ich Fragen nach Gott stellen kann, da bin ich leidenschaftlich auf der Suche. Ich könnte nicht sagen, dass ich angekommen oder aufgehoben im Glauben wäre. Aber die Frage nach Gott lässt mich nicht los.

Braucht es denn die Kirche für den Glauben?

Engelhardt: Ich denke, manche Dinge kann ich mir nicht selbst sagen. Da brauche ich jemand, der es mir zuspricht, zum Beispiel im Gottesdienst. Es ist hilfreich, gemeinsam über das Geheimnis Gottes nachzudenken, das immer viel größer ist, als dass wir es irgendwie fassen könnten. Aber auch den Zweifel und die Klage zu teilen bei all den entsetzlichen Dingen, die manchmal geschehen. Dann ist es gut, einen Raum und eine Gemeinschaft zu haben, um die Gefühle und Gedanken zu sortieren. Da ist die Kirche für mich unverzichtbar.

Die Schriftstellerin schreibt, der Pfarrer auch, vor allem die Predigt. Wo entdecken Sie da Gemeinsamkeiten?

Pehnt: Ich denke da eher an das Gebet. Beides, das Schreiben und das Gebet hängen ja mit einer inneren Einkehr zusammen. Wenn ich schreibe, erforsche ich mich selbst und zugleich die Sprache: also etwas, das größer als ich ist. Das tue ich mit bestimmten Formen, die überliefert sind, die ich aber auch immer wieder neu befragen muss. Da entsteht dann eine Art Dialog, wie beim Gebet mit Gott.

Engelhardt: Pfarrer und Schriftsteller haben ja beide ihren Text zunächst nicht wörtlich vor sich, sondern lassen sie in einem längeren Prozess reifen. Auch wenn ich in der Predigt den Bibeltext und ein gewisses gedankliches Gerüst habe, bevor ich anfange zu schreiben, mache ich immer wieder die Erfahrung, dass sich das Gerüst beim Schreiben verändert und sich die Gedanken erst beim Schreiben verfertigen.

Pehnt: Ja, das kenne ich, dass der Text einen quasi schreibt. Da kommt die Sprache auf mich zu und legt mir etwas nahe, was ich vorher gar nicht geplant hatte.

An wen denken Sie eigentlich, wenn Sie einen Roman oder eine Predigt schreiben?

Pehnt: Wenn ich literarisch arbeite, versuche ich ja erstmal, auf die Welt um mich herum mit einer Form zu reagieren, die ich entwickle. Da denke ich nicht an ein bestimmtes Publikum oder daran, ob das Buch später wahrgenommen wird. Erst im zweiten Schritt geht es um die Zuhörer, aber ich schreibe nicht mit dem Gedanken, bestimmte Wünsche oder Bedürfnisse erfüllen zu müssen.

Meier: Das hängt natürlich davon ab, wo ich sonntags predige. In der Regel stelle ich mir keine konkrete Person vor, sondern versuche mich, auf die Gemeinde einzustellen, in dem ich mich vorher über sie informiere, etwa über die sozialen Strukturen oder mir Gedanken darüber mache, was die Menschen bewegt. Manchmal weiß ich aber, dass ein Predigthörer einen schweren Schicksalsschlag hatte, und damit ringt. Da überlege ich mir dann schon beim Predigen, was meine Worte jetzt vielleicht mit dieser Person machen.

Die Kirche wird ja bisweilen als Instanz der Vermittlung von Sinn und Werten eingeschätzt. Macht das die Literatur nicht auch?

Pehnt: Da wird es schon schwieriger mit der Ähnlichkeit. Ich denke, Kunst ist nicht dazu da, fertig abgepackten Sinn zu formulieren. Wenn Literatur versucht, fertige Sinnangebote zu vermitteln, scheitert sie meist. Viel mehr treiben mich Fragen, Unsicherheiten und Zweifel um.

Engelhardt: Luther hat einmal gesagt, der Zweifel und die Anfechtung machen den Theologen erst aus. Das verbindet mit mich mit anderen Christen. Aber ich mache ich die Erfahrung, dass Menschen, die auf irgendeine Weise vom Glauben berührt sind, eine Vertiefung ihrer Existenz und auch ein Stück Lebensqualität erfahren, vielleicht kann man es auch Lebenssinn nennen. Mit der Wertevermittlung bin ich eher zurückhaltend. Es geht ja beim kirchlichen Auftrag nicht darum, den Menschen in erster Linie zu sagen, dass sie sich an diesem oder jenem Wert orientieren müssen, damit das Leben gelingt. Vor allem müssen Werte stets in ihrem Kontext gesehen werden, und nicht absolut gesetzt werden. Vor fünfzig Jahren hätte man vielleicht gesagt, es sei ein christlicher Wert, dass Frauen nicht berufstätig sein sollen. Wir gehen in der Tat davon aus, dass Wertvorstellungen sich wandeln können.

Wie sind Sie eigentlich Protestantin geworden?

Pehnt: Ich brauchte erst eine Zeit, mich überhaupt als Protestantin zu fühlen, weil ich aus einer atheistischen Familie komme. In der Pubertät habe ich mich dann unbedingt mit Kirche auseinandersetzen wollen. Da bin ich dann Weihnachten allein in die Kirche gegangen und auch die Konfirmation habe ich schließlich durchgesetzt. Im katholischen Köln habe ich eine evangelische Gemeinde gefunden, die sich stark in der Friedensbewegung und in der Taizé-Bewegung engagierte.

Und wie lebt es sich in einer katholischen Stadt?

Engelhardt: Die Frage ist heute weniger die nach dem Unterschied von Katholiken und Protestanten. Interessanter ist, wie ich das Christsein, evangelisch und katholisch, in einer liberalen, manchmal esoterisch geprägten und eher kirchenabständigen Stadt wie Freiburg erlebe. Das ist für mich wichtiger als die Suche nach einem irgendwie protestantischen Profil im Schatten des katholischen Münsters. Diesen Schatten des Münsters habe ich nie empfunden. Zentrale Aufgabe ist es doch, den Menschen plausibel zu machen, was Kirche und Christentum heute für eine Relevanz haben. Es gibt hier eben viele Menschen, die keine religiös Suchende sind und die Kirche mit unseren Gottesbildern und Traditionen nicht für ihr Leben brauchen. Denen möchte ich nicht einreden, dass sie den Glauben brauchen, aber ich möchte gerne ein Gespräch führen und über den Glauben auskunftsfähig sein.

Manche Menschen kritisieren, dass die Kirche zu reich sei. Sehen Sie das auch so?

Pehnt: Ich nehme wahr, in wie vielen Arbeitsfeldern sich die Kirche überaus sinnvoll einsetzt. Zum Beispiel in der Flüchtlingsarbeit, in der Kinder- und Jugendarbeit oder an sozialen Brennpunkten. Ich denke, dafür kann man nicht Geld genug haben. Und ich finde es gut, dass das von meinen Kirchensteuergeldern getragen wird. Besonders wichtig ist für mich die Bildungsarbeit, zum Beispiel im frühkindlichen Bereich, um die Sprachkompetenz zu stärken.

Engelhardt: Ich denke, heute ist es ganz wichtig, dass wir als Kirche immer wieder konkret zeigen, was mit dem Geld der Kirchensteuer Sinnvolles gemacht wird, zum Beispiel auf dem Feld der Diakonie mit ihrer professioneller Arbeit. Und dass es gut ist, dass die Kirche aufgrund staatskirchenrechtlicher Regelungen in der Öffentlichkeit präsent ist. Man sieht ja in Frankreich, was der Rückzug der Kirche aus der Öffentlichkeit für die Gesellschaft bedeutet.

Im Jahr des Reformationsjubiläums erinnert die Kirche auch an die zentrale Botschaft der Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Auch heute erleben viele Menschen einen starken Druck, ihren Wert aus der eigenen Leistung zu begründen. Ist das nicht ein aktueller Gedanke, dass man manches nicht leisten muss, sondern es einem zugesprochen oder geschenkt wird?

Pehnt: Ja, es gibt Momente gelingenden Lebens, die ich nicht vorwegnehmen kann und die plötzlich vor mir auftauchen. Wenn ich wach genug bin, dann kann ich sie begreifen. Ein wichtiger Gedanke in einer Zeit, in der wir uns ständig über unsere Leistung beweisen müssen. Das gilt auch für Schriftsteller: möglichst aktuell, berührend, relevant, klug sein zu müssen.

Engelhardt: Ich erlebe immer wieder Menschen, die nach einem sicheren Grund fragen, auf dem sie stehen können und auf dem sie sich angenommen wissen. Das kann auf der zwischenmenschlichen Ebene, aber auch in der Religion liegen. Im Neuen Testament heißt es ja, dass Gott und die Liebe am Ende identisch sind…

Pehnt: … Das ist mein Konfirmationsspruch: Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Engelhardt: Wenn wir die Erfahrung von Liebe machen, dann machen wir die Erfahrung, beschenkt zu werden, auch von Gott. Das Entscheidende können wir im Leben eben nicht selbst machen, der Mensch ist ja im Tiefsten und Letzten kein Machender, sondern ein Empfangender, nicht nur am Anfang und Ende des Lebens. Überhaupt ist der Mensch als Ebenbild Gottes ein unerschöpfliches Geheimnis und es ist ein Grundwunder, dass es uns überhaupt gibt.

Interview: Daniel Meier
 
Eintrag vom: 16.10.2017  




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