DAS NEW YORKER ATELIER
Museum Brandhorst, München
bis 30. April 2017
Wade Guyton hat in den letzten beiden Jahren eine neue Bildserie geschaffen, die im Museum Brandhorst erstmals in ihrer ganzen Breite und Komplexität vorgestellt wird. Während in seinem bisherigen Werk minimalistische Symbole wie die Buchstaben X und U, Streifen oder monochrome Flächen im Vordergrund standen, überraschen Guytons neue Leinwände mit vielfältigen Motiven und Techniken: Handy-Schnappschüsse aus seinem New Yorker Atelier, Screen Shots der Homepage der „New York Times“, aber auch abstrakte Formen. Letztere sind Zooms in die Bitmap-Dateien digitaler Bilder, die einen Blick in die „Anatomie“ der digitalen Bildsprache gewähren. Die Ausstellung im Museum Brandhorst zeigt 35 Bilder auf Leinwand und eine Serie von Zeichnungen in 14 Vitrinen sowie zwei Videoprojektionen.
Bereits seit den frühen 2000er-Jahren treibt Guyton seine Analyse der Bedingungen und Auswirkungen digitaler Bildproduktion mit beeindruckender Konsequenz voran. Seine Arbeitsweise folgt einer scheinbar einfachen Rezeptur: Leinwände und Seiten aus Kunstkatalogen werden in einen Tintenstrahldrucker gelegt und bedruckt. Im Laufe der Jahre hat sich daraus ein „signature style“ entwickelt, bestehend aus einem Set von Zeichen und Motiven, die Guyton in Programme wie Photoshop oder Word eingibt, um sie anschließend auf den Bildträgern als Print zu materialisieren. Dabei sind es vor allem die ungeplanten Überschneidungen, die maschinellen Fehler und Bedingtheiten, die die Kontingenz in der digitalen Technologie aufdecken und ihren Code gleichsam zum Sprechen bringen. Der Künstler traktiert seinen Drucker, konfrontiert ihn mit Befehlen, die seine Leistungsgrenzen übersteigen und speist ihn mit Daten, die er beinahe nicht verarbeiten kann. Der digitale Arbeitsprozess stülpt gewissermaßen seine inhärenten Konflikte nach außen und öffnet sich dem Gespräch über Bedingungen seiner Sichtbarmachung.
In seiner neuen Serie geht Guyton noch einen Schritt weiter und verstärkt das in seinen Arbeiten immer schon vorhandene Wechselspiel zwischen Malerei und Fotografie, analogen und digitalen Darstellungsmodi. Durch die Integration der inzwischen allgegenwärtigen Formate des Handy-Schnappschusses, des Screen Shots und des Zooms öffnet Guyton seine Bildwelt sowohl nach außen als auch nach innen. Er folgt damit der rasanten Ausdehnung und Verästelung des digitalen Codes in alle Lebensbereiche: Das Klicken durch die Zeitungsseite wird ebenso festgehalten wie der Blick aus dem Fenster des Ateliers, die Kaffeepause in der Küche und der Boden, auf dem der Künstler steht, wenn die Leinwand Stück für Stück aus dem Drucker kommt und sich über die Holzdielen schiebt.
Das New Yorker Atelier von Wade Guyton befindet sich in einem Loft an der Bowery in Manhattan und beherbergt ein Archiv, eine Bibliothek, einen Bürobereich und eine Küche, die als Treffpunkt der Mitarbeiter dient. In der Mitte des Ateliers erstreckt sich ein großer offener Raum, in dem der Drucker steht. Entlang der langen Schauwand lehnen mehrere Stapel von Bildern, die kontinuierlich hin- und herbewegt werden. Die diversen Bereiche gehen ineinander über und provozieren die Frage, wo der „kreative Akt“ eigentlich stattfindet: An einem der Computer oder am Drucker? Während die Leinwand über den Boden gezogen wird und dadurch Spuren ihrer Bearbeitung erhält? Oder beim Betrachten und Aussortieren der Bilder, wenn sie nebeneinander aufgereiht miteinander kommunizieren? Das räumliche, soziale und politische Umfeld des Arbeitsprozesses, die alltäglichen Verrichtungen ebenso wie die technologischen Bedingungen, werden so zum Schauplatz der Bildwerdung. Damit aktualisiert Wade Guyton den kunsthistorischen Topos des „Ateliers des Künstlers“ als Allegorie ästhetischer Selbstreflexion in einer digital vernetzten Lebenswelt.
Motive und Bildserien fordern sich in den neuen Bildserien gegenseitig heraus. Sie treten miteinander in ein reges Gespräch, kommentieren, ergänzen oder demontieren sich: Die New-York-Times-Bilder setzen zum Beispiel einen Kontrapunkt zu den Monochromien, indem sie Fotografie und Malerei, Abstraktion und Gegenständlichkeit, tagespolitische Aktualität und Zeitlosigkeit miteinander verschränken. Darüber hinaus werden die einzelnen Motive wiederholt, wobei mit jedem neuen Ausdruck ihre Farbgebung, ihre Konsistenz und Detailschärfe verändert wird. So etabliert Guyton ein offenes und sich kontinuierlich erweiterndes visuelles System. Die darin wirkende innere Spannung äußert sich jedoch nicht als unüberbrückbarer Konflikt, sondern als lustvolles Changieren zwischen antagonistischen Kräften.
Es erscheint ein Katalog mit einem Gespräch zwischen Johanna Burton, Wade Guyton und Achim Hochdörfer.
Die Ausstellung wird gefördert durch PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V. sowie der Legero Schuhfabrik und deren Initiative con-tempus.eu. |