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Museumstipp: DIE PREUSSEN IM WESTEN
KUNST, TECHNIK UND POLITIK IM 19. JAHRHUNDERT

im MUSEUM LA8,
Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden
Vom 19. September 2015 bis 28. Februar 2016

Die Gründung der preußischen Rheinprovinz nach dem Wiener Kongress 1815 war ein politisches, aber auch ein ästhetisches Ereignis. Die romantische Burgenlandschaft des Rheintals, die Vollendung des Kölner Doms, die Wiederentdeckung der Porta Nigra als historisches Monument in Trier, der Aufstieg von BadenBaden zur Sommerresidenz der Könige und Diplomaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – vieles wäre ohne den Einfluss der Preußen im Westen nicht zustande gekommen oder ganz anders verlaufen. Um und in Baden-Baden zeugen Denkmäler, die Freskenmalereien der Trinkhalle und nicht zuletzt repräsentative Architekturen wie der alte Bahnhof direkt oder indirekt vom preußischen Stilwillen.

Die Hohenzollernprinzen ließen rheinische Ruinen restaurieren und damit zugleich eine vermeintlich urdeutsche Vergangenheit. Die Ästhetisierung der Landschaft diente zugleich der Politisierung des Rheins. Bauwerke, aber auch Mitglieder des Königshauses erhielten historistische Verkleidungen – wie beispielsweise König Friedrich Wilhelm IV. und seine Festgäste 1842 bei der festlichen Einweihung von Schloss Stolzenfels bei Koblenz. Über die traditionelle höfische Repräsentation hinaus pflegten die Hohenzollern die festliche Maskerade. Das Kostüm wurde zum heimlichen Paradigma ihres Regierungsstils.

Normalerweise verhüllt die Verkleidung, was sie bedeckt. Neuartig an der preußischen Kostümierung aber war, dass sie hinter ihren architektonischen, textilen und geopolitischen Maskeraden erst die historische Substanz erschuf, auf der sie ihre Herrschaft gründete. In der politisierten Romantik der Hohenzollern zielte Sehnsucht nicht auf künstlerische Reflexion und melancholische Naturbetrachtung, sondern auf dynastische Legitimation und territoriale Beherrschung.

Die Ausstellung lässt einen bildpolitischen Gestaltungsanspruch lebendig werden, der Kunst, Technik und Geschichte umfasste und vieles entstehen ließ, das jenseits der tagespolitischen Absicht bis heute künstlerische Geltung hat. Zu sehen sind großartige Gemälde von Andreas Achenbach, Carl Georg Enslen, Christian Sell, Friedrich Hiddemann, Fritz von Wille, Aquarelle des rheinischen Romantikers Carl Scheuren, Ausstattungsentwürfe und Mobiliar aus Schloss Stolzenfels, Denkmalentwürfe und -miniaturen und nicht zuletzt Modelle der Schlösser Stolzenfels und Sooneck. Als Besonderheit zeigt die Ausstellung zwei mittelalterliche Fenster, die in Schloss Stolzenfels einen historischen Bezug zu den dynastischen Wurzeln herstellten und damit den Herrschaftsanspruch unterstrichen. Prächtig ornamentierte Kleidung, prunkvolle Fassaden und geschmackvoll in die Landschaft platzierte Aussichtspunkte sollten nicht nur schmücken und erfreuen, sondern selbst Sinn erzeugen. Dass der preußische Stil bis zu den schmucken Uniformen und Pickelhauben der Soldaten reichte, fand seinen ironischen Widerhall in den Verkleidungen des rheinischen Karnevals, etwa beim parodistischen Exerzieren der „Roten Funken“. Auch der kritische Blick von außen in den Preußen-Karikaturen von Honoré Daumier zeigt die Pickelhaube als Verkleidung (eines Wolfs).

Während sich der preußische Einfluss im Rheinland in Bauten und Verwaltungsstrukturen in den Jahrzehnten nach 1815 deutlich manifestierte, wurde das Großherzogtum Baden erst nach den revolutionären Konflikten 1848/49 zum politischen und dynastischen Partner der Hohenzollern. Die Burgen und restaurierten Ruinen am Rhein stehen bis heute für die Deutung von Natur als romantische Landschaft durch die Preußen, allen voran Friedrich Wilhelm IV., den „Romantiker auf dem Thron“. Seiner Schwägerin, der humanitär und pazifistisch gesonnenen, späteren Kaiserin Augusta, setzte Baden-Baden 1892 ein Denkmal. Augusta war seit 1856 die Schwiegermutter des badischen Großherzogs Friedrich I. Vierzig Jahre besuchten Augusta und ihr Gemahl Wilhelm I. Baden-Baden zur sommerlichen Erholung. Das Hotel Maison Messmer, das kaiserliche Sommerdomizil, wurde zum informalen Zentrum internationaler Spitzendiplomatie und machte Baden-Baden zur Sommerhauptstadt Europas. Die Baden-Badener konnten Wilhelm I. als Spaziergänger in der Lichtentaler Allee begegnen, was einmal fast zu einem tödlichen Zwischenfall geführt hätte, dem Attentat von 1861 auf den späteren König und Kaiser Wilhelm I. in Baden-Baden.

zum Bild oben:
Caspar Scheuren: Das ganze Deutschland soll es sein, Farblithografie, 1870/71, Sammlung Wolfgang Vomm, Bergisch-Gladbach
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Eintrag vom: 18.09.2015  




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