im Wallgrabentheater am Sonntag, den 12.01.2014, 16.00 Uhr
Bewirtung ab 15 Uhr
Am Weihnachtstag 1956 fand man den toten Robert Walser oberhalb Herisau im Schnee. Er war auf einem Spaziergang gestorben. Robert Walser war und ist eine Legende, ein trauriges Märchen. Sein Tod ist der Tod des Poeten. Jenes Poeten, den er selbst beschrieben hat - fünfzig Jahre vorher, als 28jähriger - in seinem ersten großen Buch, in den „Geschwistern Tanner“:
„Sebastian mochte hier, durch große, nicht mehr zu ertragene Müdigkeit, hingesunken sein. Allzu kräftig war er nie gewesen. Er ging immer in gebückter Haltung, als ertrüge er die aufrechte nicht, als täte es ihm weh, seinen Rücken und seinen Kopf stramm zu halten. Wenn man ihn ansah, empfand man, daß er dem Leben und seinen kalten Anforderungen nicht gewachsen war."
Ob uns das passt oder nicht, der junge Walser hat hier seinen eigenen Tod beschrieben. Er hat, davon bin ich überzeugt, gewußt daß Schreiben etwas Ernstes ist und daß man nicht ungestraft erfindet. Er fürchtet sich auch davor. Er legt sich beim Schreiben nie ganz fest; er flüchtet in den Humor, den er vielleicht nicht eigentlich hat, aber den er braucht.
Walser spielt, er spielt Rollen durch. Und ab und zu habe ich den Eindruck, er spielt auch sich selbst - er ist gar kein Schriftsteller, will keiner sein, er spielt nur einen -, ein Hochseilakt, der eines Tages schiefgehen muß.
1929 wird Robert Walser - einundfünfzig Jahre alt - in die Heilanstalt Waldau in Bern eingewiesen. Vier Jahre später bringt man ihn nach Herisau in die Heil- und Pflegeanstalt seines Heimatkantons Appenzell-Außerrhoden. Er gibt seine literarische Arbeit vollständig auf, läßt sich kaum mehr darauf ansprechen. Er will mit Literatur nichts mehr zu tun haben. Er gerät nach und nach in Vergessenheit. Und eigentlich erst nach seinem Tod wird er wieder neu entdeckt.
1956, am Weihnachtstag, stirbt in Herisau ein Mann, der einmal ein angesehener und von den Literaten gefeierter Autor war. Für seine wenigen treuen Leser, die ihn auch in dieser Zeit nicht vergaßen, war er ein Mann, der in seinem Werk um Anteilnahme an seiner Trauer warb, einer, den man in seinem Werk lieben lernt. (Peter Bichsel)
Es lesen: Patrick Blank und Holger Heddendorp
Redaktion: Holger Heddendorp |