Nach dem Romanfragment von Franz Kafka
Mit: Jörg Pohl, Cornelius Obonya, Martin Reinke, Martin Bock, Bastian Semm, Bibiana Beglau u.a.
Musik: Max Knoth
Hörspielbearbeitung und Regie: Beate Andres
(Produktion: SWR 2011)
Länge: 61 Minuten
Nur selten war Franz Kafka mit den Fortschritten seines ersten Romans zufrieden. Seine Klagen, nicht schreiben zu können, nicht den inneren und äußeren Zustand zu finden, in dem seine Literatur entstehen könne, ziehen sich durch seine Tagebücher. Im Gespräch mit dem Freund Max Brod (1884 - 1968) sprach er von seinem “amerikanischen Roman”, weshalb Max Brod das Fragment 1927 unter dem Titel “Amerika” veröffentlichte. Erst 1946 erwähnt Brod im Nachwort zur dritten Auflage, Kafka habe in seinem Tagebuch (31.12.1914) den Titel “Der Verschollene” notiert. Von 1911 bis 1914 schrieb Kafka an diesem Roman und legte ihn schließlich als Fragment zur Seite. “Der Verschollene” erzählt die Geschichte des 17-jährigen Karl Roßmann, der von seinen Eltern nach New York eingeschifft wird, weil er ein Dienstmädchen geschwängert hat. Die Eltern wollen so der Schande und Alimentenzahlung entgehen. Ungenügend vorbereitet und ausgestattet erreicht Karl Roßmann den Hafen von New York und freundet sich noch auf dem Schiff mit einem Heizer an. Diese Begegnung stellt die Weichen für seine Ankunft in der Neuen Welt – die Kafka selbst nur aus Reiseerzählungen, Memoiren und Biografien (z. B. von Benjamin Franklin) kannte. Karl Roßmann gehört zur zweiten Generation deutschsprachiger Immigranten aus der Donaumonarchie, die in den USA eintreffen und unter teilweise jämmerlichen Bedingungen versuchen, ihr Glück zu machen. Aus dem beschaulichen Prag der k. u. k.-Zeit kommend, trifft der junge Mann auf eine Welt, in der Autoschlangen die Straßen verstopfen, riesige “Callcenter” betrieben werden und von den Menschen voller Arbeitseinsatz bei minimaler Bezahlung und Freizeit gefordert wird. Erfolgreiche Geschäftsprinzipien gelten mehr als Familien- und Freundschaftsbande und eine Arbeitsstelle ist genauso schnell verloren, wie sie zu gewinnen ist. "Fest steht jedenfalls, dass Kafka nur ein einziges Thema hat (...). Dies Thema ist, im Sinne Brechts, aufs allgemeinste als das Staunen zu bezeichnen. Das Staunen von einem Menschen, der ungeheure Verschiebungen in allen Verhältnissen sich anbahnen fühlt, ohne den neuen Ordnungen sich selber einfügen zu können." Walter Benjamin, im Nachdenken über Brechts Bemerkungen zu Kafka (1931)
Montag, 20.05.2013, 18.20 Uhr, SWR2 Hörspiel am Feiertag
Dieses Hörspiel steht nach der Sendung als On-Demand-Stream auf: SWR2.de/hoerspiel |