von Herta Müller
Regie: Brigitte Landes
Produktion: SWR 2010 - Ursendung
Länge: 40 Minuten
Freitag, 03.12.2010, 22.03 Uhr, SWR2 Hörspiel-Studio
Er lebt nicht mehr. Oder er lebt. Man kann auch leben, ohne sich zu melden. Ich weiß, er kommt nicht mehr. Wenn Blech klappert, wenn am Baum eine weiße Rinde ist oder ein Taschentuch in einer Hand, denke ich schnell an etwas anderes, das ich nicht sehe. Vielleicht sollte ich an das denken, was ich sehe. Aber ich trau mich nicht. Und wer sagt mir, wie lang und breit ich daran denken müsste, dass es in den Kopf hinein passt. Und wie kriege ich es dann aus meinem Kopf wieder hinaus. Draußen am Baum oder drinnen im Kopf, ich hab keine Ahnung, was besser ist. ... Wenn er morgen Nacht im Fahrstuhl wäre, dann wär ich nichts als eine fremde Straßenecke. Eine Verabredung wär ich, von der ich nichts mehr weiß. Und er wäre nichts als ein schreckliches Glück. All die Jahre zwischen uns gelten auch für ihn. Ich glaub, ich habe ihm, um sich zu melden, die Jahre zwischen uns gegeben. Aber nie einen Ort.
Der Ort, an dem das Unerträgliche erträglich wird, ist die Sprache. Er, auf den die Frau jahrelang vergeblich gewartet hat, ist aus dem Lager oder aus dem Krieg nicht zurückgekehrt. Die stumme Zeit des Wartens drängt zu Wort und wird Gegenwart. Wie aus einem Stein heraus gemeißelt bringt Herta Müller das Stumme zur Sprache und die Zeit zum Fließen. |