Dass der Heimatschriftsteller Martin Walser, dem der Bodensee-Raum so viel bedeutet, sich auch als Reiseschriftsteller auszeichnen kann und alles andere als provinziell ist, beweist dieser Band eindrucksvoll und leichtfüßig. Er enthält Tagebuchaufzeichnungen, die Walser auf seinen Reisen zwischen 1952 und 1981 gemacht hat.
Früh reist der junge Rundfunk- und Fernsehredakteur nach London und Paris, aber auch zu Filmaufnahmen ins winterliche Warschau und zu einem Filmfestival ins tschechische Karlovy Vary (Karlsbad), in dem sich der alte k.u.k-Geist mit dem herben Charme des Sozialismus mischt. Spätere Reisen gehen - mal per Schiff, mal per Flugzeug - in die USA: zu Henry Kissingers Summerschool in Harvard oder zu Gastdozenturen, etwa in Austin/Texas.
Manchmal ist Walser zu Lesereisen unterwegs - im Portugal Salazars oder in Frankreich, wo er die Eigenheiten des etwas exentrischen Leiters des Goethe-Instituts so sanft wie bestimmt karikiert. Eine Woche lang leitet er in einem japanischen Gebirgsdorf ein Literaturseminar, im sowjetischen Moskau nimmt er an einem pompösen Schriftstellerkongress teil. Er bereist kreuz und quer die Insel Tobago - im Auftrag des stern, der dann seine Reportage nicht drucken wird, weil sie nicht fröhlich genung ausfällt. Und auf einer Lese- und Erkundungsreise ins damals andere Deutschland, die DDR, die Walser nie abgeschrieben hatte, beschreibt er 1981 minutiös die Windungen und Verwicklungen eines Lebens, das durch Mangel und Diktatur beschädigt war.
Walser ist kein verklärender Reisender, er sucht keine blaue Blume. Nie ist er versucht, sich der neuen Umgebung anzupassen, bewusst bleibt er ein Fremder, ein anderer - und ist gerade deswegen ein genauer Beobachter, der der Fremde fast spielerisch auf die Schliche kommt.
Corso Verlag 2012, 152 Seiten, EUR 24,90 (D), 25,70 (A) / sFr. 37,90
ISBN 978-3-86260-045-8 |